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Peter Turrini
JOSEF UND MARIA


Wiederaufnahme: Mo. 1. Dezember 2008
Premiere: 2. Dezember 2006, Betten Briel Schlafkultur (Marburg, Am Plan 4-5)

Fotos link |

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -
Dramaturgie -

Regieassistenz,
Soufflage u. Inspizienz -
Manfred Gorr
Frank Chamier
Annelene Scherbaum


Kerstin Reinsberg
JOSEF UND MARIA

Darsteller:
Josef - Thomas Streibig | Maria - Christine Reinhardt

Technische Leitung - Fred Bielefeldt | Technische Betreuung - Tobias Köhler, Ralf Hilberg | Beleuchtung - Jörg Gundrum | Requisite - Anita Weichenhein | Maske - Grit Anders | Ton - Ronald Strauß | Garderobe - Elisabeth Müller | Schneiderei - Eva-Constanze Nau

Stück:

Was hat Josef der Maria Heute noch zu erzählen?

Am Abend des 24. Dezember kreuzen sich die Wege zweier alter und einsamer Menschen: Putzfrau Maria Patzak und Wachmann Josef Pribill. Zwar schon längst im Rentenalter, müssen sie sich mit Aushilfstätigkeiten die offensichtlich spärliche Rente aufbessern. Nach Ladenschluss bewacht Freidenker Josef das Sortiment eines Warenhauses. Das ehemalige Varieté-Sternchen Maria kümmert sich um die Hinterlassenschaften von Personal und Kundschaft. Und während wohl überall im Lande heile Familien mit glücklichen Kindern, zufriedenen Eltern und wohlwollenden Großeltern die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum hervorholen, hängen diese zwei Alten ihren Vergangenheit nach...


Pressestimmen:

OP-Marburg

Premiere „In mir brennt es noch immer“

Marburg. Seelenstrip im Kaufhaus: „Josef und Maria“ zeigt den tragikomischen Weg zweier Menschen aus der Einsamkeit. von Nadine Weigel

„Kling Glöckchen klingelingeling“, schallt es durchs Bettenhaus Briel. Es ist eine ungewöhnliche Spielstätte, an der das Hessische Landestheater knapp 30 Besucher mit auf die Reise in die einsamen Seelen zweier grundverschiedener Menschen nimmt.

Amüsiert über den außergewöhnlichen Ort nehmen die letzten noch Platz, während eine feine Dame im Pelzmantel versonnen blickend die Auslegware inspiziert. Der Übergang ist fließend, die Besucher sitzen mittendrin im Geschehen. Spiegel zeigen die Handlung aus verschiedenen Perspektiven.

„Weihnachtszeit, Andachtszeit. Kaufen Sie eine dekorative Krippe mit den Figuren von Maria und Josef, ein Esel, zwei Rinder aus reinem Plastik, voll abwaschbar.“ Die Musik verstummt, die Stimme wünscht noch eine frohe Weihnacht, dann geht das Licht aus – es herrscht absolute Stille.

Die feine Dame entledigt sich ihres Pelzes und offenbart darunter einen Putzkittel. Ein symbolische Geste, denn Peter Turrinis Stück „Josef und Maria“ gleicht einem tragikomischen Seelenstrip.

Kaufhaus-Putzfrau Maria Patzak (Christine Reinhardt) ist nicht die einzige, die am Heiligabend arbeitet. Auch Wachmann Josef Pribill (Thomas Streibig) schiebt Dienst. Die beiden sind gescheiterte Existenzen, die am Fest der Liebe alkoholgetränkte Vergangenheitsbewältigung betreiben, und sich die Ängste und Nöte von der verlorenen Seele reden.

Maria hadert: Ihr geliebter Sohn steht unter der Fuchtel der verhassten Schwiegertochter. Sie sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit, zaghafte Annäherungen an Josef scheitern jedoch erst einmal. Der Wachmann ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Durch und durch Sozialist hängt er „besseren Zeiten“ nach, schmettert die Internationale, wettert in marxistischer Tradition „Religion ist doch nur das Opium fürs Volk“ – nur um sich nicht einzugestehen, dass auch er am Fest der Liebe nicht gern allein ist.

Reinhardt und Streibig sind ein kongeniales Duo. Sie spielen sich auf „Susanne, einem Bett mit Komfortrahmen und Liegekomfort“, regelrecht in Rage: „In mir brennt es noch immer. Doch dies Feuer kann nur die Liebe löschen“, sinniert die ehemalige Varietétänzerin.

Reinhardt drückt die Verlorenheit der Maria berauschend authentisch aus. Josef jedoch weiß damit nicht umzugehen. Zu lange wurde ihm im sozialistischen Sinne eingetrichtert, dass seine Liebe der „geschundenen Mehrheit“ zu gehören habe.

Thomas Streibig verdeutlicht impulsiv den inneren Wandel seiner Figur. Nur langsam bröckelt der Wall seines skurrilen Selbstschutzes. Offenbar wird ein tragischer Witz, der mit zaghafter Melancholie tief beeindruckt. Ein berührendes Stück, das von zwei grandios agierenden Schauspielern regelrecht beflügelt wird.






Marburger Forum

Außergewöhnliche Stücke bedürfen eines außergewöhnlichen Rahmens – dieser wurde am 2. Dezember auch am Fuße der Marburger Oberstadt, Am Plan 4-5, genauer gesagt bei „Betten Briel Schlafkultur“ geboten. Zwischen den zu Vorführung und Verkauf arrangierten Betten, Kissen und Accessoires agierten 70 Minuten lang Christine Reinreinhardt als Putzfrau Maria und Thomas Streibig als Wachmann Josef in einem allein für zwei Akteure konzipierten Stück – leidenschaftlich und hingabevoll an Erzählung und Metier – und das ist das allerwichtigste für einen bemerkenswerten Abend.

Dieser begann für die Zuschauer, die auf Stühlen, Hockern und Bänken Platz genommen hatten – 35 an der Zahl, mehr fasst die für das Schauspiel vorgesehene Etage nicht – bereits vor der eigentlichen Handlung, nämlich durch eine akustische Einstimmung mittels Weihnachtsmusik, vermischt mit den für Kaufhäusern so typisch beschwichtigenden Weihnachtswerbesprüchen. Diese schufen jedoch ein so perfektes Gesamtbild, daß die Zuschauer den eigentlichen Beginn gar nicht gewahr wurden, als sich nämlich die Hauptdarstellerin Christine Reinhard auf die „Bühne“ begab und das Spiel eröffnete; sie erschien vielmehr als eine weitere Zuschauerin, die spät aber doch noch erschienen war.

Diese physische Nähe zwischen Darstellern und Zuschauern – immerhin bewegten und saßen beide Parteien in nicht einmal zwei Meter Entfernung zueinander – stellte von Beginn an eine besondere innere Beziehung her; denn das Stück „Joseph und Maria“ soll betroffen machen – trotz all der ihm innewohnenden Komik. „Joseph und Maria“, das ist vor allem ein Theaterstück, das kritisch unsere moderne Gesellschaft im Weihnachtsrausch seziert; denn was verbirgt sich tatsächlich hinter all dem fröhlichen gütigen Geschenkeaustausch zum 24. Dezember? Ist es wirklich Nächstenliebe – oder nicht doch Verzweiflung, ein Betteln um Aufmerksamkeit und Zuneigung und vor allem Selbsttäuschung? Ist der 24. nicht vielmehr der Moment, an dem es spätestens zu erkennen gilt: So kann und darf es nicht mehr weitergehen?

Genau an diesem Punkt sind sowohl die Putzfrau als auch der Wachmann angelangt: Maria, die, eine unglückliche Ehe hinter sich, nunmehr von der Familie ihres Sohnes abgelehnt wird und nicht einmal mehr zu Weihnachten willkommener Gast ist, aber um der Eigenillusion willen für sämtliche Familienmitglieder Weihnachtsgeschenke erstanden hat, Joseph, der sich in seiner Einsamkeit der Politik verschreibt; als Sozialist kämpft er für das Ideal der Menschlichkeit, versteigt sich dabei aber in sinnentleerte Parolen.

Durch Zufall begegnen Maria und Joseph einander: Da beide keine Familie ihr eigen nennen, ziehen die beiden Rentner vor, an diesem „besinnlichsten aller Familienfeste“ zu arbeiten, um so ihre Enttäuschung zu vergessen. Die Interaktion, die sich zwischen den beiden entfaltet, beginnt zuerst im Monolog: Maria erzählt von ihrem Leben als Varieétänzerin, Joseph von seiner unglücklichen Kindheit. Man redet aneinander vorbei und dann doch wieder nicht. Unendlich froh, ein menschliches Wesen gefunden zu haben, dem es nicht besser geht, versuchen beide in kürzester Zeit all den emotionalen Ballast los zu werden, der ihnen seit Jahren das Leben erschwert: Alkoholismus, schlagende und geschlagene Zieheltern, Brutalitäten und Verdächtigungen des Ehemannes – keinen der beiden beneidet man um seinen Lebensweg, der jedoch trotzdem nichts außergewöhnliches darstellt; nein, der Zuschauer fühlt sich direkt angesprochen – von Marias Kummer über eine im Alter verblaßte Schönheit, den Träumen, die ihr wie auch Joseph trotz alledem erhalten geblieben sind.

Und so beantwortet sich die unglückliche Frage Marias – „Was bleibt, wenn nichts mehr geblieben ist...?“ – schließlich: Liebe. Sie ist das einzige, was hinter den Kulissen einer zu Wachstum, Werbung, Konsum, Leistung und Verdrängung hin orientierten Welt tatsächlich noch Substanz hat.

Durch die Gegenwart des anderen blühen zwei alte Menschen, die schon jede Hoffnung haben fahren lassen, wieder auf, in später junger Liebe – brillant dargestellt und ein unbedingtes Muß für all diejenigen, die ein Spiel mögen, das reich an Pointen und Stimmung zugleich ist, dabei aber vor allem provokativ und kritisch, also eine Tragikomödie im hervorragendsten Sinne.

Tanja v. Werner

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